Pädagogische Ansätze einer modernen stationären Jugendhilfe

Die Herausforderungen an eine qualifizierte Pädagogik in der stationären Jugendhilfe sind in den letzten 30 Jahren ständig gestiegen. Trotz aller herausragender Flexibilisierung und fachlich fundierter Orientierung an einer sich verändernder Klientel muss jedoch resumierend festgestellt werden, dass sie nach wie vor von einem Legitimationsproblem betroffen ist. Wenn einerseits das Hilfeplanverfahren als ein "Erfolgsmodell" angesehen werden kann, bleibt die Jugendhilfe der Nachweis ihrer Effektivität sowie der Verständigung auf Qualitätskriterien noch schuldig. Jugendhilfe wird sich im Kontext von Erziehung, Bildung (in Kooperation mit der Schule) und Betreuung weiter profilieren müssen.

Im folgenden werden einige fachliche Bereiche aufgeführt, welche in der stationären Jugendhilfe implementiert werden könnten:

Neurowissenschaft

Kinder erleben ihre Biografie ganzheitlich. Der Organismus der Kinder speichert alle Erfahrungen ab, welche im Bewusstsein, im Gedächtnis und emotional Wirkungen hinterlassen.
Das Gehirn verarbeitet alle Erfahrungen nach einer bestimmten Regelmäßigkeit, welche erst seit wenigen Jahren wissenschaftlich nachvollzogen werden kann. Durch die technischen nichtinvasiven (nicht körpereindringenden) Voraussetzungen, das Gehirn in seiner Komplexität messbar und sichtbar zu machen, kann dem Gehirn bei seiner Erfassung und Verarbeitung von Erfahrungen zugesehen werden.
Daraus können pädagogische und psychologische absolut spannenden Folgerungen abgeleitet werden, welche in die Pädagogik einer stationären Jugendhilfe einfließen: Gestaltung von Räumen, Zusammensetzung von Gruppen und Teams, Schaffen von angstreduzierter Atmosphäre, Qualifizierung des Kommunikationsstiles im Hause, Sicherung der Orientierung durch Strukturen sowie die Entwicklung von Förder- und Behandlungsprogrammen für die Kinder.

Traumapädagogik und -therapie

Kinder in der Jugendhilfe sind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gravierend belastet und/oder traumatisiert: nach der Statistik seien es 60% der Kinder und Jugendlichen in der Jugendhilfe. Solche Kinder reagieren auf Auslöser, welche sie selber nicht (mehr) kennen, da sie während der Traumatisierung spalten mussten. Die Amygdala, das Alarm- und Schutzzentrum im Gehirn eines Menschen, schützt das Kind in seinen schlimmsten Momenten, wenn ihm gravierendes Leid durch andere Menschen zugefügt wurde. Ein Teil des Schutzes besteht darin, dass es nicht mehr (kognitiv) weiß, was es erleben musste, doch auf jeden Hinweis auf die mögliche Wiederholung dieses schlimmen Erlebnisses hoch sensibel, aggressiv und mit absoluter Abwehr reagiert. Der Körper und die Gefühle des Kindes reagieren blitzschnell und vehement, doch verstehen das Kind und auch die anderen Beteiligten oftmals diese Verhaltensweise nicht.
Die Kinder kommen immer wieder, ausgelöst durch Trigger (im Gehirn verankerte Auslöser), in einen Affektverlust, den sie selber nicht verstehen und vor allem nicht steuern können. Man kann mit den Kindern hinterher zwar über den Vorfall reden und oftmals bereuen sie ihre Handlungen auch, doch sie können einen alternativen Umgang für den nächsten Vorfall nicht integrieren.
Um ihnen zu helfen, bedürfen sie zunächst der Implementierung von sicheren "inneren" und "äußeren" Orten, damit sie nicht ständig ausrasten. Diesen sichernden Kontext bieten die diesbezüglich qualifizierten pädagogischen MitarbeiterInnen durch "Trauma-Screenings", Vermittlung einer kognitiven Neuorientierung und der Entwicklung von Handlungsalternativen.
Durch eine begleitenden Traumatherapie werden die abgespaltenen Erfahrungen durch sensible und dem Trauma angemessene Konfrontationen der Verarbeitung durch bilaterale Stimulierungsprozesse zugeführt.

Systemische Therapie

Das einzelne Kind wächst im Kontext mit anderen Menschen auf. Das kleine Kind lernt sehr schnell, wie es sich in diesem Umfeld zu verhalten hat. Damit ist das einzigartige Kind auch ein "Produkt" seiner Umwelt. Die Verhaltensweisen eines Kindes sind somit auch das Ergebnis dieser gemeinsamen Erfahrung, egal, ob sich das Kind "wohlerzogen" oder "verhaltensauffällig" verhält.
Bei kleinen Kindern haben die Vorbilder durch Eltern oder relevante Bezugspersonen eine enorme Bedeutung. Im Laufe der Jahre verändert sich diese Einflussgröße von anderen auf das Kind, doch es bleibt, dass sich jeder Mensch an den jeweiligen sozialen Gegebenheiten orientiert.
Problematische Verhaltensweisen von Kindern sind ebenfalls im diesen Kontexten mit entstanden, so dass man davon ausgehen kann, dass eine individuelle problematische Verhaltensweise auch eine Geschichte im sozialen Miteinander hat.
Gar nicht unüblich ist, dass eine individuelle Verhaltensweise anderen helfen soll. Ein Kind, welches beide Elternteile liebt und ein Interesse daran hat, dass beide zusammen bleiben, kann Störverhalten entwickeln, wenn es den Eindruck hat, dass die Eltern sich nicht mehr verstehen. Aus Angst, dass die Eltern sich trennen, kann es sein, dass es die elterlich Beziehung, um welchen Preis (der persönlichen Symptombelastung) auch immer, (unbewusst oder bewusst) dynamisieren wird.
Aus einem solchen systemischen Verständnis heraus wird es für die Förderung eines Kindes hilfreich, den sozialen Kontext, so z.B. die Eltern, in den Hilfeprozess mit einzubeziehen. In manchen Fällen wird es sogar zentral wichtig, dass die Eltern oder Bezugspersonen ihre Themen bearbeiten, damit das Kind entlastet ist und sich unabhängiger vom sozialen Verpflichtungskontext adäquat entwickeln kann.

Qualitätsmanagement

Die kommunalen Spitzenverbände schließen mit den Verbänden der Träger der freien Jugendhilfe und den Vereinigungen sonstiger Leistungserbringer auf Landesebene (spezifisch in jedem Bundesland) über den Inhalt der Vereinbarungen Rahmenverträge ab. In einem Teil dieser Rahmenverträge sind Qualitätsentwicklungsvereinbarungen zu schließen.

Will man nicht nur Qualität beschreiben, sondern Qualität entwickeln, bedarf es der Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems, welches sich z.B. an der DIN EN ISO 9001:2008, dem TQM (Total Quality Management) oder vergleichbaren Konzepten orientiert.
Für eine effektive Umsetzung eines Qualitätsmanagementsystems bedarf es der Zielformulierung, für welchen Adressaten oder Adressatengruppe sich die Qualität in der Einrichtung ständig weiter entwickeln soll. Dieses kann durch eine Qualitätspolitik postuliert und abzuleitenden Qualitätsleitzielen konkretisiert werden. Eine Leitbildentwicklung fördert die Identifikation aller MitarbeiterInnen mit den Aufgaben und Zielsetzungen einer Einrichtung.
Eine Einrichtung muss förderliche Bedingungen durch eine "Strukturqualität" zur Verfügung stellen, damit alle relevanten Dienstleistungen, wie z.B. Kernprozesse, Verfahren und Abläufe durch eine "Prozessqualität" qualitativ hochwertig und zuverlässig durchgeführt werden können. Denn entscheidend wird, dass das in der Qualitätspolitik behauptet Niveau von Qualität auch wirklich durchgeführt und tatsächlich erreicht wurde. Dieses wird durch die "Ergebnisqualität" nachgewiesen und transparent gemacht.

Sind in einer Einrichtung die Qualitätsziele klar definiert und durch eine Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität nachweisbar umgesetzt, dann besteht eine fortführende Qualitätsentwicklung dadurch, dass eine Einrichtung einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess installiert. Dieser ist dann nachhaltig implementiert, wenn er sich durch institutionalisierte interne und externe Audits sowie Managementreviews ständig fortschreibt.
So wird das Qualitätsmanagementsystem in einen Regelkreislauf gebracht, welcher sich durch die Formulierung von Kundenanforderungen, der Überprüfung derer Erfüllung und der Ableitung von effektiven Verbesserungsmaßnahmen mit der Folge von Neu- und Umformulierung von Qualitätsansprüchen an diese Einrichtung fortlaufend reguliert.
Ein Qualitätsmanagementsystem kann mit diesem Verständnis als ein integraler Bestandteil eines Managementsystems einer Einrichtung angesehen werden, welches Kundenorientierung, Effektivität, Effizienz und Weiterentwicklung miteinander verbindet.

Für die fachliche Konzeptionierung einer stationären Jugendhilfe sollten folgende Bereiche fokussiert und aktualisiert werden.

Diese Themen werden demnächst bearbeitet:

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