Traumazentrierte Pädagogik
10% aller Kinder in Deutschland werden körperlich erheblich gezüchtigt und 5% sexuell misshandelt. Über 60% der Kinder und Jugendlichen in den stationären Hilfen sind ebenfalls traumatisiert, alle Pflegekinder erleben den Verlust ihrer leiblichen Eltern mindestens als gravierende Belastung, die meisten als Trauma.
Fachleute in allen psychosozialen Bereichen wissen, dass die Belastungen der Kinder und Jugendlichen insgesamt seit einigen Generationen enorm zugenommen haben.
Während des Erlebens eines Traumas reagiert das Gehirn völlig anders als in "normalen" Situationen durch eine Vielfalt von neurobiologischen und -physiologischen Besonderheiten:
- Adrenalin und Noradrenalin erhöhen die Körperspannung zum Kampf oder zur Flucht
- eine Zunahmen von Dopamin sorgt für ein Maximum an motorischer Beweglichkeit
- eine erhöhte Kortisolauschüttung läßt den Angstspiegel steigen und sorgt somit für einen hoch wachsamen Organismus
- die Ausschüttung von körpereigenen Endorphinen reduziert das Schmerzempfinden
- das Alarmzentrum des Gehirns, der Mandelkern (Amygdala), "umgeht" in dieser Krisensituation eine (zeitliche aufwendige) Sachabfrage des fronalen Kortex, welches wichtige Informationen aus der Vergangenheit (Erinnerungen) gespeichert hat
- das Sprachzentrum (Brocca'sche Zentrum) wird abgeschaltet
- Traumainformationen bleiben im Gehirn "stecken", sind "eingefroren" und bewirken, dass aktuelle, neuere Informationen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt verarbeitet werden können
- das Empfinden für Gegenwart und Vergangenheit verwischt sich und wird nur noch unscharf wahrgenommen
Hinzu kommt, dass jegliche Erinnerung an das Trauma oder auch an kleinste Teile dessen, wie Geräusche, Bilder, Projektionen oder auch das Reden darüber als Auslöser (Trigger) wirkt, das komplette Trauma zu aktualisieren. Jeglicher kleinste Trigger bewirkt somit eine komplette Re-Traumatisierung - und auch ein Reden darüber (was normalerweise heilend hilft) hätte dieselbe Funktion.
Implikationen für eine traumazentrierte Pädagogik
Die Bearbeitung eines Traumas bedarf einer Hilfestellung durch eine Kombination von psychotherapeutischer und pädagogischer Unterstützung:
Aktuelle Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie, der Neurophysiologie und Neurobiologie sowie der Bindungsforschung weisen den Weg: die psychotherapeutische Behandlung eines Traumas bildet (nur) einen Strang eines Gleises der Hilfestellung, den notwendigen zweiten Strang des Gleises muss, damit das festgefahrene Trauma in Bewegung gebracht und tatsächlich verarbeitet werden kann, durch eine neu orientierte Pädagogik unterstützt werden.
Eine traumazentrierte Pädagogik gestaltet sich durch:
- Erstellung von TraumaScreenings
- Etablieren eines sicheren inneren Ortes
- durch sensorisch inszenierte Imaginationen
- Etablieren eines sicheren äußeren Ortes
- durch Reduktion von Triggern (Auslösern)
- Gewaltfreiheit (auch in der Sprache)
- eine Trauma berücksichtigende Kommunikation
- Realisierung von sicheren Bindungen
- Vermittlung einer positiven Selbstbewertung (ich schaff's)
- eine erweiterte Sicht auf Verhaltensstörungen
- eine Sensibilisierung von Fachleuten in Bezug auf Gegenübertragungen
Weitere Links:
Artikel von Jochen Uttendörfer zur Traumazentrierten Pädagogik
Praxisorientierte Arbeit mit traumatisierten Kindern in pädagogischen Arbeitsfeldern
Deutscher Fachverband für EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
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